Montag, 30. August 2010
Wolf Haas - der Antiheld der deutschsprachigen Literatur
1960 im österreichischen Bundesland Salzburg geboren, wurde Haas erst Mitte der Neunziger zum freien Schriftsteller. Zwischen 1996 und 2003 schrieb er sieben Kriminalromane, sechs davon mit seinem Antihelden Simon Brenner, die schnell zu preisgekrönten Kultwerken avancierten. Was mit "Auferstehung der Toten" begann, fand mit "Der Knochenmann" und "Komm, süßer Tod" seine Fortsetzung. Als 2001 der vierte Brenner-Roman "Silentium" erschien, war Haas bereits ein erfolgreicher und von den Kritikern gefeierter Star-Autor. Nach "Wie die Tiere" und "Das ewige Leben" legte Haas eine Brenner-Pause ein, die er erst 2009 mit "Der Brenner und der liebe Gott" beendete.
Was Haas' Romane auszeichnet, ist neben dem lakonischen Humor, der trockenen, oft zynischen Gesellschaftskritik und der abgehalfterten Hauptfigur vor allem der untypische Erzählstil. Haas schreibt stets aus der Perspektive eines Erzählers, der den Leser direkt anspricht, und zwar so, als würde er in der Kneipe am Tresen neben ihm stehen. "Ob du es glaubst oder nicht, aber da hat es Brenner schon mit der Angst zu tun bekommen" heißt es da, und man würde als Leser am liebsten nickend zustimmen.
Vor Haas und seinem schriftstellerischen Vehikel Brenner ist keiner sicher. Nicht das Gesundheitssystem, nicht die katholische Kirche und auch nicht reiche Bauherren. Seine Hauptfigur löst zwar die kompliziertesten Fälle, schlüpft dabei aber nie in die Rolle des strahlenden Helden und braucht oft unerwartete Hilfe, um dem Tod von der Schippe zu springen. Das verleiht den Geschichten Authentizität und dem Simon Brenner hohe Sympathiewerte. Noch dazu sind die Geschichten in Haas' Roman spannend erzählt und in sich logisch völlig stimmig. Es ist wahrlich kein Wunder, dass der Feuilleton begeistert auf diesen untypischen Autor und seine Bücher reagierte. Haas ist ein Phänomen, das der deutschsprachigen Literatur hoffentlich noch lange erhalten bleibt.
Mittwoch, 25. August 2010
Online-Institution Plattentests.de: Musikrezensionen und Eiersalat Hawaii
Das Internet ist ein flüchtiges Medium. Ein Kommentar, eine Meinungsäußerung unter einem Beitrag ist ebenso schnell gelöscht wie der Beitrag selber. Auch großartige Seiten können binnen weniger Stunden einfach aus dem Netz getilgt werden, so dass nichts mehr bleibt außer eine wehmütige Erinnerung.
Und weil das Internet, dem Geist unserer Zeit entsprechend, nun mal so wenig Kontinuität kennt, ist es um so bemerkenswerter, dass mit Plattentests.de nun eine wahre Institution des Online-Journalismus seinen zehnten Geburtstag gefeiert hat. Genauer gesagt wurde dieser schon Ende 2009 gefeiert, denn im Winter 1999 veröffentlichte der damals frisch volljährige Armin Linder erstmals Musikrezensionen auf dieser Domain. Rasch stieß das Online-Magazin auf eine begeisterte Leserschaft, die im Laufe der Jahre ebenso anwuchs wie das Redakteurteam um Linder, der auch heute noch als Chef dabei ist.
Auf einer Bewertungsskala von 1 bis 10 bewertet Plattentests jede Woche maximal 20 Neuerscheinungen aus der Indie-, Rock-, Pop- und Alternative-Ecke, manchmal auch Metal und Elektronische Musik. Die Topbewertung 10 Punkte verteilt das Team jedoch seit jeher sparsam. Die Bestnote wurde in der Geschichte der Webseite insgesamt erst elf Mal gezückt, und das letzte Mal ist auch schon wieder vier Jahre her: 2006 wurde Joanna Newsoms "Ys" abgefeiert. Dass vor allem in der Frühphase der Plattentests-Geschichte Bewertungen fielen, die heute eher seltsam anmuten, wie etwa eine 9/10 für Reamonns Debütalbum "Tuesday", nehmen die Seitenbetreiber mit Humor. Nachträglich verändern wollen sie nichts und stehen zu jeder geschriebenen Zeile. Das nennt man wohl gelebte Authentizität.
Was Plattentests außer der immer gut geschriebenen und objektiven Rezensionen seit jeher noch auszeichnet, ist das Forum der Webseite. Es ist für jeden ohne Registrierung zugänglich und mutet mit seiner einfachen Struktur zu Recht an wie ein Überbleibsel aus den Anfangstagen des Internet. Doch gerade durch diesen bewussten Verzicht auf technischen Schnickschnack erhält das Plattentests-Forum einen anarchistischen Charme, der süchtig macht. Neben Musikthreads finden sich dort auch unzählige abstruse und witzige Threads zu Themen wie "Eiersalat Hawaii" oder "Enten füttern".
Zu guter letzt sei noch erwähnt, dass Plattentests trotz seiner großen Anhängerschaft ein nicht-kommerzielles Projekt ist, an dem niemand etwas verdient. Alle Redakteure schreiben ihre Rezensionen auf freiberuflicher Basis. Und das wird wohl auch ewig so bleiben. Es wäre nicht die einzige Konstante bei Plattentests.de.
Dienstag, 24. August 2010
YEASAYER – abgefahren, einfach nur abgefahren
Am 19. August stürmten im Münchner 59:1 Yeasayer schon zum 2ten mal in 2 Monaten die Bühne. Mit den Worten „Glad to be back“ eröffneten sie die Show.
5 junge Kerle, die alle bis auf den Bassisten und den Schlagzeuger im Schnellakkord ihre Instrumente wechseln, um möglichst viele verschiedene Soundeffekte einbauen zu können.
So viel Action habe ich schon lang nicht mehr gesehen und macht definitiv Lust auf mehr.
Die Jungs aus Brooklyn, New York kamen 2006 zusammen und bezeichnen ihre sehr experimentierfreudige Musik als Middle-Eastern-Psych-Pop-Snap-Gospel. Verwirrt? Ein bisschen. Sie vermischen in ihren Songs verschiedene Kulturkreise, so kann man neben afrikanischen Stammesgesängen auch indische Bollywoodklänge vernehmen. Nur um zu sehen, was dabei herauskommt, verbinden sie verschiedene Musikstile – und das Ergebnis ist, kann sich hören lassen.
Mittlerweile ist auch das 2te Album erschienen und wieder einmal haben Yeasayer es geschafft, einen einzigartigen Sound zu kreieren. Auf den alternativen Radiosendern FM4, EgoFM und M94.5 werden die Hits, wie ONE, rauf und runter gespielt und erfreuen sich großer Beliebtheit.
Schön, dass sich noch eine Band traut, zu experimentieren und das auch wirklich was g’scheidts dabei raus kommt. Viel Vergnügen beim anhören und abgehen!
Mittwoch, 18. August 2010
Kulturpessimisten aufgepasst: Daniela Katzenberger singt!
In unserer heutigen Mediengesellschaft ist ja bekanntlich nichts so schlecht und unbedeutend, als dass es nicht im Trash-TV gebührend ausgeschlachtet werden könnte. Dachte sich auch der Privatsender VOX, als er mit der 23-jährigen Daniela Katzenberger auf eine wahre Goldgrube stieß. Die blondierte gelernte Kosmetikerin gibt offen zu, dass es mit ihr rein hirnmäßig nicht weit her ist und dass sie im Fernsehen nur sich selbst spielt. Ohne zwei Kilogramm Schminke sieht man die Katzenberger nie auf der Mattscheibe, und ihre tätowierten Augenbrauen und die lackierten Fingernägel sind eine Art Markenzeichen geworden.
In der Sendung "Goodbye Deutschland" wurde die Ludwigshafenerin so bekannt, dass VOX sie fortan mit aller Macht pushen wollte. Sie durfte ein Café auf Mallorca eröffnen, der Insel, auf die es alle Kreaturen aus den Sümpfen des Showbiz zieht. Dort verteilt sie nun fleißig Autogramme an ihre Fans, von denen es zahlreiche gibt. Scheinbar schafft es die dumpfbackige Blondine, die versteckten Sehnsüchte ziemlich vieler Menschen auf sich zu projizieren, denn sie erfreut sich einer erstaunlichen Beliebtheit. Und weil nach den Regeln der oben angesprochenen Mediengesellschaft alles gut ist, was Erfolg hat (und nicht mehr umgekehrt, wie früher), war es nur eine Frage der Zeit, bis die Katzenberger auch die Musikkanäle erobert.
"Nothing's Gonna Stop Me Now" heißt ihre Debütsingle, die übermorgen erscheint. Natürlich hat Katzenberger das Lied nicht selbst geschrieben, es ist ein Cover des 80er-Jahre-Popsternchens Samantha Fox. Dass die Lady nicht singen kann, versteht sich von selbst, interessiert aber natürlich keinen. VOX wird genug Geld investiert haben, um Airplay im Radio und auf MTVIVA zu garantieren. Das sind die Regeln der Mediengesellschaft.
Donnerstag, 12. August 2010
Hunter S. Thompson – der beste Schriftsteller unter den Journalisten und der beste Journalist unter den Schriftstellern
Hunter S. Thompson schrieb den Roman 1959, doch erst 1998 fand dieser den Weg in die Veröffentlichung. der einstmalige Rolling Stone Reporter hatte ein abgefahrenes Leben und scheute sich niemals, offen und ehrlich das zu sagen, was ihm durch den Kopf ging.
Mit der Erfindung des Gonzo-Journalismus (gonzo steht hier für exzentrisch, verrückt, außergewöhnlich) begründete Thompson eine neue Art und Weise, sich von der Objektivität des distanzierten Schriftstellers abzuwenden und seine eigenen, völlig subjektiven Erfahrungen als Autor in die Geschehnisse der Geschichte mit einfließen zu lassen. So wird eine interessante Mischung aus Realität, autobiographischen Ansätzen und Fiktion hergestellt. Stilmittel sind Sarkasmus, Humor, vulgäre Schimpfwörter, Polemik und bekannte Zitate.
Auf Thompsons berühmtester „Forschungsreise“ Fear and Loathing in Las Vegas versuchte er, dem Amerikanischen Traum nachzugehen. Findet aber in dem verspulten Chaos aus Drogencocktails nur sein eigenes persönliches Scheitern und das des Amerikanischen Traumes.
Hunter S. Thompson nahm sich 2005 mit einem Kopfschuss das Leben – nicht aus Verzweiflung, sondern weil es einfach der richtige Augenblick war, um sich aus dem Leben zu stehlen.
„No More Games. No More Bombs. No More Walking. No More Fun. No More Swimming. 67. That is 17 years past 50. 17 more than I needed or wanted. Boring. I am always bitchy. No Fun -- for anybody. 67. You are getting Greedy. Act your old age. Relax -- This won't hurt."
Donnerstag, 5. August 2010
The Doors – When You Are Strange
Vielleicht mögen einige von euch aufstöhnen und sich denken – oh man, schon wieder ein belangloser Dokumentarfilm über irgendeine todgehörte Band, welche ihren Zenith vor Jahren längst überschritten hat und nur mit dem tragischen Tod des Bandleaders noch ordentlich Kohle gemacht werden kann.
Mh….I do not think so. The Doors werden heutzutage immer noch auf diversen Radiosendern rauf und runter gespielt, Jim Morrison wird wie eh und je abgöttisch verehrt und als sensibler Rockpoet gefeiert.
Der Regisseur Tom DiCillo hat mit dem neuesten The Doors-Film When You Are Strange eine abgefahrene Reise in die Vergangenheit unserer Eltern inszeniert und weckt in der neuen Indiegeneration ein wahnsinnig intensives Gefühl, auch an dieser Zeit teil haben zu wollen.
“If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite”
Es gehört eigentlich schon zum Allgemeinwissen, wer The Doors sind, welche Songs ihre bekanntesten sind (Light My Fire, Hello, I Love You, Love Her Madly – nur so zur Erinnerung) und, dass der depressive Jim Morrison im zarten Alter von 27 Jahren seinen Tod fand. Eben mit dem mysteriösen Dahinscheiden des Leadsängers fand die Band zu ihrer Unsterblichkeit und bleibt bis heute eine Attraktion.
In DiCillos Film wird mehr oder weniger das Aufstreben, sowie Aufbegehren einer jungen amerikanischen Band, also auch deren Untergang chronologisch erzählt und mit einzelnen tatsächlichen Konzertsequenzen untermalt. Zeitgenössische Aufnahmen werden sind in schneller Schnittfolge montiert und durch viele andere kurze Ausschnitte anderer Filme, Fernsehauftritte, Sequenzen aus Jim Morrisons unvollendetem Filmprojekt. Neben diesen ganzen kleinen aber absolut unglaublichen Details wird die Geschichte von Johnny Depp als Stimme aus dem Off wiedergegeben und kommentiert.
Mit ihren provozierenden, kompromisslosen und stimulierenden Songs, sowie der hypnotisierenden Macht von Morrisons poetischem Sein und seiner alles umfassenden Präsenz haben The Doors einen nachhaltigen Eindruck nicht nur auf die Pop-Musik, sondern auch auf die Pop-Kultur, hinterlassen.
Also schaut euch den Film an, lasst euch mitreißen von der Komposition aus Musik und Poesie und fühlt euch wieder ein Stück mehr mit der guten alten Zeit des dreckigen Rock ‛n’ Rolls verbunden.
„Ich mag Ideen über den Zusammenbruch oder den Umsturz der etablierten Ordnung. Mich interessiert alles, was mit Revolte, Unordnung, Chaos zu tun hat – ganz besonders Handlungen, die scheinbar keinen Sinn haben. Das scheint mir, ist die Straße zur Freiheit – äußere Freiheit ist ein Weg, innere Freiheit zu erreichen.“
– Jim Morrison, Januar 1967