Dienstag, 28. September 2010

Weezer wagen sich an den Klassiker: "Pinkerton"-Deluxe Edition erscheint im November!


Schlappe zwei Wochen ist es her, dass das achte Weezer-Studioalbum "Hurley" erschien. Die neue Scheibe mit dem "Lost"-Schauspieler auf dem Cover ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, verglichen mit dem katastrophalen "Raditude", doch Fans der frühen Weezer dürften immer noch nicht begeistert sein. Die können sich dafür über eine andere Nachricht freuen: Weezer werden im November ihr legendäres zweites Album "Pinkerton" in einer Deluxe-Edition mit Bonustracks neu veröffentlichen!


Für all jene, die sich in der Bandgeschichte der Amerikaner nicht so gut auskennen, hier ein kurzer Rückblick: 1994 erschien Weezers selbstbetiteltes Debütalbum, das sogenannte "blaue Album", das mit Sonnenscheinrock, mitreissenden Melodien und schüchtern-nerdigen Texten ein Riesenhit wurde. Nach dem Erfolg zog sich Bandleader Rivers Cuomo zurück, um neue Songs zu schreiben, die aufgrund seiner persönlichen Lage weitaus düsterer ausfielen. Das zweite Album "Pinkerton" von 1996 unterschied sich deshalb auch diametral vom poppigen Erstling. Es war viel rauher produziert, die Gitarren lärmten, das Schlagzeug schepperte und Cuomos Gesang wurde stellenweise zu einem Schreien. Dazu die Texte! "Pinkerton" lieferte tiefe Einblicke in ein zerrissenes, verunsichertes Seelenleben voller Ängste und Hoffnungen. Nichts da mehr mit Liedern über Frauen, wie man sie gerne hätte und über das Surfen.



Die Folge: "Pinkerton" floppte. Ein Großteil der zeitgenössischen Rezensionen ging scharf mit der Scheibe ins Gericht, das Label entzog der Band sein Vertrauen und wollte "Pinkerton" nicht angemessen vermarkten. Weezer gingen an dem Misserfolg fast zugrunde. Fünf Jahre sollte es dauern, bis das nächste Weezer-Album erschien. In der Zwischenzeit verschwand die Band von der Bildfläche, und Bassist Matt Sharp verließ die ohnehin kaum mehr existente Gruppe. Aber dann das: Plötzlich wurde "Pinkerton" gewürdigt. Immer mehr Leute erkannten die enorme Kraft, die Genialität hinter den verschrobenen Songs. Im noch jungen Internet wurden plötzlich wieder Rufe nach einem Weezer-Comeback laut. Und in der Tat kam die Band nach Jahren voller Selbstzweifel gestärkt zurück.


COLUMBIA, MD - AUGUST 30: Guitarist Brian Bell (L) and lead singer Rivers Cuomo of Weezer performs at the Virgin Mobile FreeFest on August 30, 2009 in Columbia, Maryland. The music festival gave away all 35,000 tickets for free. (Photo by Brendan Hoffman/Getty Images)

Nun gut, nach dem Comeback sollte Weezer leider nie mehr auch nur annähernd das Level von "Pinkerton" erreichen. Aber immerhin waren sie wieder zurück, und zwar produktiv. Jetzt wagen sie sich endlich an das mythenumrankte Album von 1996 heran und veröffentlichen Anfang November eine Deluxe Edition. Neben dem zehn Liedern des "normalen" Albums befinden sich noch insgesamt 25 Bonustracks auf den zwei CDs, zum Großteil Liveaufnahmen und unveröffentlichte Bonustracks. Das lässt doch das Herz jedes Musikfreunds höher schlagen.

Die komplette Tracklist der Deluxe Edition gibt es hier.

Mittwoch, 22. September 2010

Milan Kundera - einer der ganz Großen Autoren der Gegenwart


Milan Kundera ist einer dieser Autoren, von denen man nur ein Buch lesen muss, damit sie einen in den Bann ziehen. Der heutige 81-jährige gebürtige Tscheche gehört zu den bekanntesten Schriftstellern der Gegenwart und hat ein unglaublich reichhaltiges Gesamtwerk abgeliefert. Am Bekanntesten ist Kundera wohl für seinen 1984 erschienen Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Er hat aber noch weitere Meisterwerke verfasst, die etwas im Schatten seines Erfolgsbuches stehen, aber keinen Deut schlechter sind.



Der am 01. April 1929 im tschechischen Brünn geborene Kundera war bereits als Kind ein begeisterter Musiker. Er arbeitete in seiner Teenagerzeit unter anderem als Jazzmusiker, bevor er sich 1948 an der Prager Universität einschrieb. Im selben Jahr trat er, wie die meisten seiner Altersgenossen, in die kommunistische Partei ein. 1950 wurde er allerdings ausgeschlossen und musste sein Studium für zwei Jahre unterbrechen. Trotzdem war Kundera, wie sein frühes dichterisches und schriftstellerisches Werk zeigt, lange Jahre ein systemtreuer Dichter. Er wurde erst in den 60er Jahren zu einem überzeugten Gegner des kommunistischen Regimes. Kundera war überzeugt davon, dass das totalitaristische System in der Tschechoslowakei das Individuum daran hinderte, seine Wünsche und Ziele zu verfolgen.

Schon in seinen ersten Meisterwerken "Der Scherz" (1967) und "Das Buch der lächerlichen Liebe" (drei Bände, erschienen 1963, 1965 und 1968) kam diese Kritik zum Tragen. In "Der Scherz" griff Kundera seinen eigenen Ausschluss aus der Partei auf und baute ihn in die Geschichte ein. Er engagierte sich immer stärker politisch und unterstützte den "Prager Frühling". Als diese Protestbewegung allerdings 1968 von sowjetischen Panzern beendet wurde und das stalinistische System daraufhin wieder gnadenlos durchgesetzt wurde, sah sich Kundera unter enormem Druck. Er wurde seines Lehrauftrags enthoben, und seine Werke wurden aus Bibliotheken entfernt bzw. nicht mehr neu publiziert.

Da Kundera eine "persona non grata" in Tschechien geworden war, nahm er 1975 nur zu gerne einen Ruf der Universität Rennes, wo er fortan als Dozent wirkte. Das tschechische Regime hinderte ihn nicht am Ausreisen. 1978 ging er weiter nach Paris, wo er bis heute lebt. Im selben Jahr erschien das "Buch vom Lachen und Vergessen", in welchem Kundera auf bittere Art und Weise mit der kommunistischen Partei abrechnet. Daraufhin wurde ihm die tschechische Staatsbürgerschaft entzogen, und seit 1981 ist er französischer Staatsbürger.

In die 80er Jahre fiel Kunderas größter internationaler Erfolg, "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" (1984). Hier spielt die Liebe als Gegenpol zum totalitären System eine große Rolle. Kunderas nächste große Werke "Die Unsterblichkeit" (1990) und "Die Langsamkeit" (1994) lösten sich dann von der Tschechischen Thematik und behandelten generelle Probleme der westlichen Welt - z.B. den Verlust der Identität in einem zusehendes modernisierten Staat. Der letzte der beiden genannten Romane war der erste, den Kundera nicht mehr auf tschechisch, sondern auf französisch schrieb.

Die poetische Sprache und Wortgewalt seiner Werke machten ihn berühmt und brachten ihm Verehrung von verschiedensten Literaturkritikern ein. Dabei ist Kundera beileibe kein "einfacher" Autor. In seinen Büchern kommen oft auch komplexe Passagen vor, die nicht leicht zu entwirren sind. Außerdem gibt er seit 1985 nur noch schriftliche Interviews, weil er sich zuvor oft falsch zitiert fühlte. Er verfügte auch, dass seine frühen, Kommunismus-freundlichen Werke, nicht mehr verlegt werden.

Dienstag, 21. September 2010

Musik, um den Sommer gebührend zu verabschieden

Schon seltsam: Kaum ist der Sommer rein meteorologisch dabei, sich langsam zu verabschieden und dem Herbst Platz zu machen, schon meldet sich die Sonne zurück. Im August hatten wir sie noch schmerzlich vermisst, doch im späten September werden wir von ihr noch einmal richtig verwöhnt. Was gibt es schöneres, als dieses unverhoffte Comeback ausgiebig zu nutzen und es sich auf dem Balkon oder im Garten gemütlich zu machen? Dabei darf dann natürlich auch die Musik nicht fehlen. Ich liste mal ein paar schöne Spätsommer-Platten auf, zu denen man wunderbar entspannen und den Blättern beim Herunterfallen zusehen kann.


Earl Greyhound - Suspicous Package (2010)
Das famose zweite Album der New Yorker Retro-Rocker erstrahlt in mehr unterschiedlichen Farben als der schönste Herbsttag - mal laut und bunt, mal leise und melancholisch.


Surfer Blood - Astro Coast (2010)
Indie-Rock gepaart mit Surfgitarren-Twang. Lässt einen an Strände und Meer denken, während gleichzeitig der Herbst schon klar durchscheint.


Weezer - Weezer (Blaues Album) (1994)
Der Klassiker. Nie gab es eine bessere Mischung aus krachendem Sonnenscheinrock mit zuckersüßen Melodien und verzweifelter Traurigkeit. Macht auch nach dem tausendsten Hören noch Spaß.


Manic Street Preachers - This Is My Truth, Tell Me Yours (1998)
Nie waren die Manic Street Preachers ruhiger, nie besinnlicher. Aber auch nie waren sie besser geeignet, dem Sommer beim Übergang in den Herbst zuzusehen. Großartige Hymnen wie "The Everlasting" und "If You Tolerate This ..." passen da wie die Faust auf's Auge.


Radiohead - The Bends (1996)
Die Indie-Gottheiten um Thom Yorke waren ja schon immer Garanten für den gepflegten Umgang mit eingängiger Traurigkeit. Ein Lied wie "Just" könnte im Alleingang einen ganzen Baum von seinem Herbstlaub befreien, so sehr haut es immer noch rein.



Oasis - Don't Believe the Truth (2005)
Die vielleicht missverstandendste, aber auch anmutigste Platte der Gallagher-Brüder. Es mögen zwar die großen Hymnen fehlen, dafür schlängeln sich Perlen wie "Turn Up the Sun" oder "The Importance of Being Idle" um so unaufdringlicher ins Ohr.

Donnerstag, 16. September 2010

"Beim Griechen": Deutsche Zeitgeschichte aus Sicht einer griechischen Taverne

Heute will ich einen ganz dicken Buchtipp aussprechen. Es geht um „Beim Griechen“ von Alexandros Stefanidis, das beim Fischer Verlag erschienen ist. In diesem herrlichen, pointierten und gut lesbaren Werk schildert der Autor, in Karlsruhe als Sohn eines griechischen Gastarbeiter-Paares geboren, die Geschichte seiner Familie seit deren Ankunft in Deutschland im Jahr 1963. Und zwar nicht einfach so, sondern aus der Sicht der griechischen Taverne, die seine Eltern 1970 eröffneten, und die sich im Karlsruher bzw. badischen Raum schnell zum Kultrestaurant entwickelte.

Im Zentrum steht dabei Stefanidis’ Vater Christoforos, der als erster nach Deutschland kam und später zusammen mit seiner Frau Maria die Taverne eröffnete. Christo, wie er genannt wird, muss früh erfahren, dass Gastarbeiter in Deutschland schon in 1960ern als lästiges Übel empfunden werden und vor allem von Behörden mit fast schon menschenverachtender Herablassung behandelt werden. Trotz aller Widerstände, kaltherziger Vermieter und eines Arbeitsunfalls, der den Verlust mehrerer Fingerkuppen zur Folge hat, eröffnet Christo mit seiner Frau die Taverne „El Greco“. Diese entwickelt sich im ohnehin griechenlandfreundlichen Deutschland der 70er Jahre schnell zum Geheimtipp. Dazu trägt auch die Art bei, in der die Stefanidis ihre Gaststätte führen. Vater Christo behandelte jeden Gast wie seinen Freund, hörte sich seine Lebensgeschichte und seine Sorgen und Nöte an, trank mit ihnen Ouzo oder Metaxa und diskutierte natürlich über Politik.

In „Beim Griechen“ erfährt der Leser nicht nur etwas über das Klima, in dem sich Ausländer in Deutschland zurecht finden müssen – er kriegt auch eine brilliante Lektion in Deutscher Zeitgeschichte. Eher beiläufig schildert der Autor etwa, wie sich im Januar 1980 die Gründungsmitglieder der „Grünen“ in Cordhose und Turnschuhen in der Taverne trafen, um die Gründung ihrer Partei zu feiern. Oder wie Gregor Gysi 1992 vorbeischaute und sich eine kalte Vorspeisenplatte servieren ließ. Oder wie sich selbst alte Stammgäste und Freunde von Christo von der fremdenfeindlichen Stimmung der frühen 1990er Jahre anstecken ließen.

Alexandros Stefanidis, der jüngste von drei Söhnen des tüchtigen Wirtes, hat ein enorm unterhaltsames Buch geschrieben. Auf knapp 200 Seiten lernt der Leser mehr über deutsche Geschichte seit der ersten großen Koalition als in irgendwelchen dickleibigen Geschichtswälzern. Er lernt auch, dass das Zusammentreffen von griechischer Lebensfreude und deutscher Zielstrebigkeit großes Zustande bringen kann – etwa die Karlsruher Taverne von Christo und Maria Stefanidis, die 2009 für immer ihre Türen schloss.

Donnerstag, 9. September 2010

Der Faust-Stoff – „ein weites Feld“

Es ist doch erstaunlich, wie populär Johann Wolfgang Goethes Fausttragödien sind. Hat diese nicht jeder entweder in der Schule lesen müssen oder still und heimlich bei sich gedacht, so einen Klassiker der Weltliteratur muss ich mir mal geben.

Das es aber noch andere Faustrezeptionen gibt ist vielen nicht bewusst. Faust hat auch tatsächlich gelebt. Im 16. Jahrhundert, um genau zu sein. Einer der neuesten Faustadaptionen und meiner Meinung nach ein brillantes Meisterwerk ist Michail Bulgakows Meister und Margarita. Diese gelungene Satire spiegelt das Leben in Moskau zur Zeit des stalinistischen Imperiums wieder. Der Teufel geht in Moskau um. Das diabolische Werk wird zu den wichtigsten russischen Romanen des 20. Jahrhunderts gezählt und umfasst gekonnt und anklagend die starre Bürokratie der Sowjetunion. Doch neben dem Moskauer Leben spielen auch der ewig währende Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel und einer zerstörerischen, sich über alle Regeln hinwegsetzenden Gewalt und der an das Menschliche appellierenden Humanität zentrale Rollen. Einige Kapitel enthalten sogar eine sehr moderne Version von Pontius Pilatus und den letzten Tag Jesu Christi.

Es fließen mehrere Handlungsstränge in einander 1. das durch den Teufel hervorgerufene Chaos in Moskau 2. der Meister, welcher die Hauptfigur darstellt, erzählt seine Geschichte und von seinem Roman über Pontius Pilatus und 3. die verheiratete Geliebte des Meisters Margarita. Durch Margaritas Pakt mit Professor Voland – dem Teufel höchstpersönlich – finden die Liebenden schlussendlich im Tod ihre Erlösung.

In diesem Roman steht Bulgakows Philosophie über Erlösung, Vergebung, die ewige Ruhe und die sogar den Tod überwindende Liebe im Vordergrund.

Die satirischen Momente untermalen das Werk auf unglaubliche Art und Weise, denn die so konsequente Bürokratie des stalinistischen Überwachungsstaates hat auch Bulgakow zu spüren bekommen. Ab 1930 verschwanden seine Stücke von den Theaterbühnen Russlands.

Eine wirklich wunderschöne Reise ins ferne Moskau mit grotesker Untermalung. Jedem dem es Goethe mit seinem Faust angetan hat, wird begeistert sein von Michail Bulgakows Meister und Margarita.

Freitag, 3. September 2010

Anlässlich des neuen Albums: Eine Hommage an die Manic Street Preachers

Am 17. September erscheint "Postcards From a Young Man", das zehnte Studioalbum der Manic Street Preachers. Die Waliser waren hierzulande ja nie so bekannt wie in Großbritannien, wo sie spätestens seit Mitte der 1990er Jahre zu den großen Stars zählen. Vielleicht ist deshalb das neue Album ein guter Anlass, die faszinierende und außergewöhnliche Karriere der Musiker von der Insel eingehender zu beleuchten.

Gegründet 1986 unter dem Namen Betty Blue, hatten die Manic Street Preachers Ende der 1980er ihre feste Besetzung gefunden und spielten Auftritte unter ihrem neuen Namen. James Dean Bradfield spielte Gitarre und sang, Nicky Wire alias Nicholas Jones war der Bassist, Bradfields Cousin Sean Moore der Drummer. Dazu kam noch Richey James Edwards, der nominell zweiter Gitarrist war, aber diese Rolle von Anfang nur zum Schein ausübte. Edwards' Verstärker war angeblich bei fast allen Auftritten der Manics auf leise gedreht, so dass man nur das Instrument des weitaus begabteren Bradfield hören konnte. Nein, Edwards' Rolle in der Band war von Anfang an die des intellektuellen, rhetorisch gewandten Texteschreibers, der die provokanten und rebellischen Ansichten der Band in Worte fassen sollte und so die Außendarstellung entscheidend prägen sollte.

Die Manic Street Preachers hatten Anfang der 90er Jahre dann auch tatsächlich ein wahres Outlaw-Image in Großbritannien. Sie spielten geschickt mit den Medien, pöbelten andere Bands an, gaben sich aufsässig und rebellisch. In einem frühen Interview schnitt sich der seit jeher psychisch labile Edwards mit einer Rasierklinge die Worte "4 REAL" in den Unterarm, nachdem ihm ein Reporter mangelnde Authentizität vorwarf. Das Debütalbum der Manics, "Generation Terrorists", erschien Anfang 1992 und bot musikalisch eine Mixtur aus hartem Glamrock im Stile der Guns'n'Roses und Punkrock der ersten Stunde. Zwischen lauten politischen Statements fand sich auch dieses eine melancholische Lied, das zum Evergreen wurde: "Motorcycle Emptiness". Als Single ausgekoppelt, wurde es zum ersten Hit der Manic Street Preachers.
1993 veröffentlichte die Band "Gold Against the Soul", das sich ein Stück weit vom politischen Milieu löste und auch musikalisch leicht in Richtung Alternative Rock tendierte. 1994 sollte ein einschneidendes Jahr in der Bandgeschichte werden. Der psychische Zustand von Richey James Edwards wurde immer schlechter, er musste nach gescheiterten Selbstmordversuchen in eine Klinik eingeliefert werden. Sein zermartertes Innenleben verarbeitete er in den Texten zum dritten Manics-Album "The Holy Bible", das im August dieses Jahres erschien. Bis heute gilt dieses düstere, widerspenstige Album als eines der besten seiner Art und als absoluter Klassiker. Keine leichte Kost und deswegen kommerziell auch nicht sehr erfolgreich, ist es doch das definitive Statement der Manic Street Preachers. Nach diesem kreativen Höhepunkt kam der persönliche Tiefpunkt.

LONDON - FEBRUARY 28:  Singer James Dean Bradfield and the Manic Street Preachers perform after receiving their Godlike Genius award at the Shockwaves NME Awards Big Gig 2008 at the O2 Arena on February 28, 2008 in London, England.  (Photo by Gareth Cattermole/Getty Images)


Im Februar 1995 verschwand Richey Edwards einfach. Er checkte aus seinem Londoner Hotel aus, nahm sich einen Mietwagen und ward nie wieder gesehen. Sein Auto wurde in der Nähe der Severn Bridge an der Meerenge zwischen Wales und England gefunden, weshalb man heute allgemein von Selbstmord ausgeht. Geschockt und verwirrt, überlegte das verbliebene Trio lange, ob man weitermachen sollte. Letztlich beschloss man aber doch, die Reise ohne den Kreativpol fortzuführen. Das 1996 erschienene Album "Everything Must Go" wurde dank der melancholischen Hitsingle "A Design For Life" zum Megahit und etablierte die Manics als Rockstars im Mainstream. Obwohl die Musik wesentlich radiotauglicher war als noch auf "The Holy Bible", büssten die Manic Street Preachers nichts von ihrem künstlerischen Anspruch ein. 1998 schaffte es das Trio gar erstmals auf Platz 1: Sowohl die Single "If You Tolerate This Your Children Will Be Next" als auch das Album "This is My Truth Tell Me Yours" belegten Spitzenplätze der englischen Charts.

Die Manic Street Preachers waren auf ihrem kommerziellen Höhepunkt angekommen. 2001 schaffte es das experimentelle "Know Your Enemy" noch auf Platz 2, aber danach folgte mit "Lifeblood" eine Scheibe, die nicht nur musikalisch von kühlen Elektrosounds geprägt war, sondern das auch von den Fans eher unterkühlt aufgenommen wurde. Die große Zeit der Manic Street Preachers schien vorbei, und viele Zeitschriften schrieben schon einen Abgesang auf eine der größten und wichtigsten Bands der letzten Dekade.

Aber dann gelang mit "Send Away the Tigers" (2007) ein beachtliches Comeback in den Charts. Die Musik auf diesem Album war wieder viel rockiger und erinnerte in vielerlei Hinsicht an den Klassiker "Everything Must Go". Zwei Jahre später fühlten sich die Manic Street Preachers dann reif dafür, ihrem verschwundenen Ex-Kameraden ein musikalisches Denkmal zu setzen. "Journal For Plague Lovers", das neunte Studioalbum, basierte ganz alleine auf Songtexten aus Edwards' Feder, die er seinen Freunden kurz vor seinem Verschwinden übergeben hatte. Die Musik auf diesem Album war eine klare Rückkehr zum düsteren, verzweifelten Alternative der "Holy Bible"-Phase, und sowohl Fans als auch Kritiker waren verzückt.

LONDON, ENGLAND - JUNE 11:  Manic Street Preachers attend the 2009 MOJO Honours List at The Brewery on June 11, 2009 in London, England.  (Photo by Gareth Cattermole/Getty Images)


Nun wollen es die Manic Street Preachers aber noch einmal in kommerzieller Hinsicht wissen. "Postcards From a Young Man", das zehnte Album, wurde von Bradfield und Wire vorab als "One last shot at mass communication" angekündigt, also als letzter Versuch, die Charts zu stürmen. Die Chancen dafür stehen gut: Die Musik auf der neuen Scheibe ist kraftvoll, melodisch und selbstbewusst. Orchestral untermalter Rock wie auf der Vorabsingle "(It's Not War) Just the End of Love" trifft auf nachdenkliche Klänge wie "Hazelton Avenue" oder "Some Kind of Nothingness". Wieder einmal haben die Manic Street Preachers ein großartiges, allumfassendes Meisterwerk geschaffen, das alte Fans zufrieden stellen wird und ihnen garantiert auch neue einbringen wird. Diese Band ist in der Tat die wohl wichtigste Band, die in den letzten 20 Jahren aus Großbritannien hervorkam. Hoffentlich machen sie noch viele weitere Alben dieses Kalibers.