Freitag, 3. September 2010

Anlässlich des neuen Albums: Eine Hommage an die Manic Street Preachers

Am 17. September erscheint "Postcards From a Young Man", das zehnte Studioalbum der Manic Street Preachers. Die Waliser waren hierzulande ja nie so bekannt wie in Großbritannien, wo sie spätestens seit Mitte der 1990er Jahre zu den großen Stars zählen. Vielleicht ist deshalb das neue Album ein guter Anlass, die faszinierende und außergewöhnliche Karriere der Musiker von der Insel eingehender zu beleuchten.

Gegründet 1986 unter dem Namen Betty Blue, hatten die Manic Street Preachers Ende der 1980er ihre feste Besetzung gefunden und spielten Auftritte unter ihrem neuen Namen. James Dean Bradfield spielte Gitarre und sang, Nicky Wire alias Nicholas Jones war der Bassist, Bradfields Cousin Sean Moore der Drummer. Dazu kam noch Richey James Edwards, der nominell zweiter Gitarrist war, aber diese Rolle von Anfang nur zum Schein ausübte. Edwards' Verstärker war angeblich bei fast allen Auftritten der Manics auf leise gedreht, so dass man nur das Instrument des weitaus begabteren Bradfield hören konnte. Nein, Edwards' Rolle in der Band war von Anfang an die des intellektuellen, rhetorisch gewandten Texteschreibers, der die provokanten und rebellischen Ansichten der Band in Worte fassen sollte und so die Außendarstellung entscheidend prägen sollte.

Die Manic Street Preachers hatten Anfang der 90er Jahre dann auch tatsächlich ein wahres Outlaw-Image in Großbritannien. Sie spielten geschickt mit den Medien, pöbelten andere Bands an, gaben sich aufsässig und rebellisch. In einem frühen Interview schnitt sich der seit jeher psychisch labile Edwards mit einer Rasierklinge die Worte "4 REAL" in den Unterarm, nachdem ihm ein Reporter mangelnde Authentizität vorwarf. Das Debütalbum der Manics, "Generation Terrorists", erschien Anfang 1992 und bot musikalisch eine Mixtur aus hartem Glamrock im Stile der Guns'n'Roses und Punkrock der ersten Stunde. Zwischen lauten politischen Statements fand sich auch dieses eine melancholische Lied, das zum Evergreen wurde: "Motorcycle Emptiness". Als Single ausgekoppelt, wurde es zum ersten Hit der Manic Street Preachers.
1993 veröffentlichte die Band "Gold Against the Soul", das sich ein Stück weit vom politischen Milieu löste und auch musikalisch leicht in Richtung Alternative Rock tendierte. 1994 sollte ein einschneidendes Jahr in der Bandgeschichte werden. Der psychische Zustand von Richey James Edwards wurde immer schlechter, er musste nach gescheiterten Selbstmordversuchen in eine Klinik eingeliefert werden. Sein zermartertes Innenleben verarbeitete er in den Texten zum dritten Manics-Album "The Holy Bible", das im August dieses Jahres erschien. Bis heute gilt dieses düstere, widerspenstige Album als eines der besten seiner Art und als absoluter Klassiker. Keine leichte Kost und deswegen kommerziell auch nicht sehr erfolgreich, ist es doch das definitive Statement der Manic Street Preachers. Nach diesem kreativen Höhepunkt kam der persönliche Tiefpunkt.

LONDON - FEBRUARY 28:  Singer James Dean Bradfield and the Manic Street Preachers perform after receiving their Godlike Genius award at the Shockwaves NME Awards Big Gig 2008 at the O2 Arena on February 28, 2008 in London, England.  (Photo by Gareth Cattermole/Getty Images)


Im Februar 1995 verschwand Richey Edwards einfach. Er checkte aus seinem Londoner Hotel aus, nahm sich einen Mietwagen und ward nie wieder gesehen. Sein Auto wurde in der Nähe der Severn Bridge an der Meerenge zwischen Wales und England gefunden, weshalb man heute allgemein von Selbstmord ausgeht. Geschockt und verwirrt, überlegte das verbliebene Trio lange, ob man weitermachen sollte. Letztlich beschloss man aber doch, die Reise ohne den Kreativpol fortzuführen. Das 1996 erschienene Album "Everything Must Go" wurde dank der melancholischen Hitsingle "A Design For Life" zum Megahit und etablierte die Manics als Rockstars im Mainstream. Obwohl die Musik wesentlich radiotauglicher war als noch auf "The Holy Bible", büssten die Manic Street Preachers nichts von ihrem künstlerischen Anspruch ein. 1998 schaffte es das Trio gar erstmals auf Platz 1: Sowohl die Single "If You Tolerate This Your Children Will Be Next" als auch das Album "This is My Truth Tell Me Yours" belegten Spitzenplätze der englischen Charts.

Die Manic Street Preachers waren auf ihrem kommerziellen Höhepunkt angekommen. 2001 schaffte es das experimentelle "Know Your Enemy" noch auf Platz 2, aber danach folgte mit "Lifeblood" eine Scheibe, die nicht nur musikalisch von kühlen Elektrosounds geprägt war, sondern das auch von den Fans eher unterkühlt aufgenommen wurde. Die große Zeit der Manic Street Preachers schien vorbei, und viele Zeitschriften schrieben schon einen Abgesang auf eine der größten und wichtigsten Bands der letzten Dekade.

Aber dann gelang mit "Send Away the Tigers" (2007) ein beachtliches Comeback in den Charts. Die Musik auf diesem Album war wieder viel rockiger und erinnerte in vielerlei Hinsicht an den Klassiker "Everything Must Go". Zwei Jahre später fühlten sich die Manic Street Preachers dann reif dafür, ihrem verschwundenen Ex-Kameraden ein musikalisches Denkmal zu setzen. "Journal For Plague Lovers", das neunte Studioalbum, basierte ganz alleine auf Songtexten aus Edwards' Feder, die er seinen Freunden kurz vor seinem Verschwinden übergeben hatte. Die Musik auf diesem Album war eine klare Rückkehr zum düsteren, verzweifelten Alternative der "Holy Bible"-Phase, und sowohl Fans als auch Kritiker waren verzückt.

LONDON, ENGLAND - JUNE 11:  Manic Street Preachers attend the 2009 MOJO Honours List at The Brewery on June 11, 2009 in London, England.  (Photo by Gareth Cattermole/Getty Images)


Nun wollen es die Manic Street Preachers aber noch einmal in kommerzieller Hinsicht wissen. "Postcards From a Young Man", das zehnte Album, wurde von Bradfield und Wire vorab als "One last shot at mass communication" angekündigt, also als letzter Versuch, die Charts zu stürmen. Die Chancen dafür stehen gut: Die Musik auf der neuen Scheibe ist kraftvoll, melodisch und selbstbewusst. Orchestral untermalter Rock wie auf der Vorabsingle "(It's Not War) Just the End of Love" trifft auf nachdenkliche Klänge wie "Hazelton Avenue" oder "Some Kind of Nothingness". Wieder einmal haben die Manic Street Preachers ein großartiges, allumfassendes Meisterwerk geschaffen, das alte Fans zufrieden stellen wird und ihnen garantiert auch neue einbringen wird. Diese Band ist in der Tat die wohl wichtigste Band, die in den letzten 20 Jahren aus Großbritannien hervorkam. Hoffentlich machen sie noch viele weitere Alben dieses Kalibers.

2 Kommentare:

  1. Hey, die Manics gehören zwar nicht zu meinen Favourites, aber interessante Zusammenfassung ihres Schaffens.

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  2. Vielen Dank! Vielleicht hörst du dir ja anlässlich des neuen Albums nochmal den Katalog der Manics durch und wirst doch noch zum Fan? ;)

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